Der Schatzplanet

In der Takelage baumeln, durch den Sternenstaub segeln und das Vakuum des Weltraums einatmen: Das alles geht in Disneys Der Schatzplanet, seines Zeichens ein Remake des 1883 erschienenen Romans Die Schatzinsel. Es ist die Geschichte des adoleszenten und perspektivlosen Jim Hawkins, der auf der Suche nach Captain Flints “Schatz der 1000 Welten” und seinem eigenen Selbstwert an den zwielichtigen Piraten Long John Silver gerät und dabei lernt, dass Vertrauen und Verrat nah beieinander liegen.

  

Der junge Jim Hawkins ist ein Troublemaker. Während seine Mutter versucht, mit ihrem Gasthaus „The Benbow Inn“ die kleine, zweiköpfige Familie über Wasser zu halten, steht Jim bereits mit einem Bein im Jugendgefängnis. Das perspektivlose Dahinsiechen des Jungen nimmt ein Ende, als plötzlich der Pirat Billy Bones im Gasthaus aufschlägt – offenbar auf der Flucht – und Jim eine Sternenkarte hinterlässt mit der Warnung: „Hüte dich vor dem Cyborg!“ Kurz darauf erstürmen Billy Bones’ Häscher das Gasthaus und machen es dem Erdboden gleich. Familie Hawkins gelingt die Flucht.
Beim Astrophysiker Dr. Delbert Doppler entpuppt sich die Sternenkarte als Wegweiser zum Schatzplaneten, auf dem der legendäre Schatz von Captain Flint versteckt liegen soll. Kurzerhand finanziert der Astrophysiker eine Expedition, an der auch Jim teilnimmt. Als Schiffsjunge auf der R.L.S. Legacy verbringt er nun die nächsten Monate unter der harten Hand des vermeintlichen Küchenchefs Long John Silver – einem Cyborg.

Ein Weltraum, in dem es sich gut atmen lässt

Originaltitel Treasure Planet
Jahr 2002
Land USA
Genre Science-Fiction, Abenteuer
Regisseur Ron Clements, John Musker
Cast Jim Hawkins: Joseph Gordon-Levitt/ Robert Stadlober
John Silver: Brian Murray/ Jochen Striebeck
Dr. Delbert Doppler: David Hyde Pierce/ Thomas Fritsch
Captain Amelia: Emma Thompson/ Suzanne von Borsody
Mr. Arrow: Roscoe Lee Browne/ Wolfgang Hess
B.E.N.: Martin Short/ Mirco Nontschew
Sarah Hawkins: Laurie Metcalf/ Carin C. Tietze
Billy Bones: Patrick McGoohan/ Hans Teuscher
Scroop: Michael Wincott/ Oliver Stritzel
Morph: Dane A. Davis
Laufzeit 95 Minuten
FSK

Wie hat es Kollegin Grit formuliert? Wenn die Erde zu klein wird, weichen die Piraten auf’s Sternenmeer aus. In Japan kam dieser Gedanke bereits 1977 mit Space Pirate Captain Harlock auf. Und auch die Idee, Robert Louis Stevensons Roman Die Schatzinsel in den Kosmos zu verfrachten, ist nicht neu, da 1987 mit der italienisch-deutschen Serie Der Schatz im All bereits geschehen.

Bei Der Schatzplanet konnte sich bei dieser Verfrachtung in den Outer Space ohne sonderliche Einbußen an die geschichtliche Vorlage gehalten werden, denn das Weltraum-Setting scheint die Story nur peripher zu tangieren. Bei den Raumschiffen handelt es sich schlicht um Segelschiffe mit Raketenantrieb, blauhäutige Wale fliegen durch durch den Kosmos, als wär’s der Ozean, und auch sonst kann man dort oben ziemlich gut atmen. Das liegt daran, dass die Macher aus dem hinlänglich bekannten Weltraum „das Ätherium“ gemacht haben – einen Kosmos gefüllt mit Atmosphäre. Auf diese Weise können die Figuren ohne Anzug und Helm agieren bei stets gut einsehbarer Körpersprache und Mimik. Heißt also, es existiert immer ein guter emotionaler Draht zu den Figuren. Vakuum und Eiseskälte sind in Der Schatzplanet also verschwunden, Konzepte wie (künstliche) Schwerkraft, Supernovae und Schwarze Löcher wurden aber beibehalten, um die Crew auf ihrer Reise zumindest a bissel herauszufordern.

Ein Outlaw als Ersatzvater

Der Schatzplanet richtet sich an eine ältere Zielgruppe – alles ab Teenager aufwärts. Das spiegelt sich in der Anzahl der Tode (mehr als einer geht drauf) und in den fehlenden Gesangseinlagen wieder. Aber auch in der Darstellung des Protagonisten Jim: Ein findiger Typ mit Selbstzweifeln, einem Undercut und einem ästhetisch fragwürdigen Haarbommel hinten dran, der die geilsten Sachen auf seinem Air-Surfbrett hinbekommt (unterlegt mit E-Gitarren-Mucke). In diesen Belangen erscheint der Film also untypisch für Disney.
An anderer Stelle schlägt die Marke Disney wiederum volle Kanne durch: beim Hochhalten des Familienideals. Jims Kindheit ist vom Fortgang des Vaters geprägt; dadurch belastet steht auch seine Beziehung zur Mutter auf der Kippe. Und der Pirat Silver avanciert – trotz ambivalenten Verhaltens – eindeutig zur neuen Vaterfigur, die Jim von seinem Trauma befreien soll. Darüber hinaus lässt Silver sogar vom Schatz ab, um Jim zu retten und ganz zum Schluss erscheint sein Konterfei sogar mufasamäßig in den Wolken, unterlegt von BBMaks „Always Know Where You Are“ – ja, Disney war am Werk.

Diese Vater-Sohn-Beziehung bildet den Schwerpunkt von Der Schatzplanet – ja, Silver scheint Jim sogar als zentrale Figur zu verdrängen. Das Wesen des massigen Cyborgs ist beeindruckend gestaltet, seine Mimik wechselt in Sekundenschnelle zwischen Freund- und Feindschaft, zwischen Grausamkeit und Wärme, Gewissensqual und Unbeschwertheit und zeigt dem Zuschauer den inneren Kampf, den er austrägt. Dieses lebendige Mienenspiel lässt sich auch in den anderen Figuren finden, etwa bei Captain Amelia, der meistens die Eierstöcke aus Stahl im Gesicht geschrieben stehen, die dann und wann aber auch Momente der neckischen Verspieltheit zulässt – als die Katze, die sie ja ist.

Visuals vs Characterization

Ebenso lebendig im Sinne von dynamisch wirken die Szenen, in denen die 2D-Figuren in die 3D-Hintergründe eingefügt wurden – etwa beim Rundgang durch Silvers Küche oder den Verfolgungsjagden durch die engen Gänge der R.L.S. Legacy. Auf der anderen Seite kann das CGI aber auch recht seelenlos ausschauen, wenn etwa Totale von Orten präsentiert werden, die nur computergeneriert sind.
Dennoch sind die Schauwerte ziemlich hoch. Jims Surf-Sequenzen, der Halbmond, der sich als Weltraumhafen entpuppt, das Seite-an-Seite fliegen mit einem Kometen – das alles wirkt doch ziemlich beeindruckend. Die zweite Hälfte des Films setzt vermehrt auf solche Schauwerte, da hier Action und Abenteuer im Vordergrund stehen, und kann als leicht gestreckt empfunden werden. Die erste Hälfte dagegen ist unterhaltsamer, da hier die Charakterzeichnungen stattfinden (auch wenn man sagen muss, dass diese schwächer ausfallen als in anderen neuen Disney-Filmen, z.B. Lilo & Stitch).

Fazit

Mal wieder den Schatzplaneten einzulegen ist nicht das Verkehrteste, was man machen kann. Alte Gänsehaut-Momente (Jims Surf-Manöver), Captain Amelias Kommentare („Klappe, Arrow, das war doch nicht ernst gemeint.“), die Abschiedsszene zwischen Silver und Jim , der tolle Score von James Newton Howard (The Sixth Sense) mit schottischem Einschlag und natürlich Morph, der glibberige Formwandler, der einem das Herz erweicht: All das macht den Film doch ziemlich sehenswert. Der Schatzplanet ist nicht mein Lieblings-Disney, aber auch weit davon entfernt, eine Zeitverschwendung zu sein.

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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