Die Schatzinsel

Eine Schatzkarte – damit beginnt in Die Schatzinsel die abenteuerliche Reise eines Jungen zu einer Zeit, als die Schiffe noch abhängig waren von Strömungen und Winden und eine Meuterei das Ende einer Seereise bedeuten konnte. Robert Louis Stevenson lässt 1883 den Jungen Jim Hawkins die Geschichte seiner Schatzsuche erzählen, eine spannende Abenteuergeschichte für Jugendliche, die bis heute die Fantasie der Leser anregt und in alle gängigen Medien ihren Eingang gefunden hat.

    

Der Jugendliche Jim Hawkins lebt Mitte des 18. Jahrhunderts mit seinen Eltern in ihrem Gasthaus “Admiral Benbow” nahe Bristol. Zu den Gästen gehört ein geheimnisvoller Seemann, augenscheinlich und sehr zum Entzücken der übrigen Gäste ein ehemaliger Pirat. Er lebt zurückgezogen und voller Furcht vor einem geheimnisvollen Einbeinigen, nach dem Jim Ausschau halten muss, um ihn rechtzeitig warnen zu können. Eines Tages wird das Gasthaus von Piraten überfallen, die es auf ein Päckchen aus dem Besitz des Seemannes abgesehen haben, welches sich mittlerweile aber in Jims Händen befindet. Jim entdeckt, dass es sich um eine Schatzkarte handelt, die zu dem sagenumwobenen Schatz des Piraten Flint führen soll. Mit Hilfe seines väterlichen Freundes Dr. Livesey und des Gutsherrn John Trelawney wird eine Expedition auf die Beine gestellt, und so segeln die Schatzsucher auf dem Expeditionsschiff “Hispaniola” unter der Führung von Captain Smollett los. Was sie nicht ahnen, ist, dass sich ehemalige Mitglieder von Captain Flint unter die Mannschaft gemischt haben, um sich ihren Anteil an dem Schatz zu holen. Ihr Anführer ist der einbeinige Schiffskoch Long John Silver, eine ambivalente Gestalt unter den gewalttätigen Piraten.

Jugendliche Freiheit

Die Schatzinsel bietet alles, was die jugendliche Fantasie entzücken kann: eine abenteuerliche Reise, spannende Begegnungen, Geheimnisse und Verrat, einen verschollenen Schatz, Gefahren und Mutproben. Mittendrin steht der junge Jim Hawkins, kurz vor der Schwelle zum Erwachsenwerden und doch noch Kind genug, um sich leichtsinnig und ohne nachzudenken in gefährliche Situationen zu stürzen, die ein Älterer zunächst gründlich überdenken würde. Aber gerade diese jugendliche Unbesonnenheit ist es, die neben der abenteuerlichen Rahmenhandlung einen großen Reiz auf den Leser ausübt und durchaus nicht nur Teenager anspricht. Hier handelt einer intuitiv, mutig und entschlossen, ohne lange bei Wenn und Aber zu verweilen – wobei Jim durchaus kein Heißsporn ist, der die Lage, in der er sich befindet, verkennt. Doch durch ihn werden Konventionen aufgebrochen, Bedenken reduziert und Vorgehensweisen um Möglichkeiten erweitert, die in der Erwachsenenwelt nicht mehr so ohne weiteres vorstellbar sind.

Piraten und ein Pirat

Originaltitel Treasure Island
Ursprungsland Schottland
Jahr 1883
Typ Jugendroman
Genre Abenteuer
Autor Robert Louis Stevenson
Verlag z.B. Reclam

Die meisten der dargestellten Charaktere in Die Schatzinsel entsprechen den stereotypen Vorstellungen, die von Piraten existieren: dumme, verschlagene Kerle, die sich mit Gewalt nehmen, was sie haben wollen, saufen, ihr Geld verprassen und einen weiten Bogen um Wasser und Seife machen. Sie leben ihr kümmerliches Leben innerhalb einer eigenen Gesellschaft fern der bekannten Werte und Normen, in der der Stärkere über den Schwächeren triumphiert und ein Menschenleben wertlos ist. Aus diesem Abschaum sticht in dieser Geschichte ein Mann hervor: der Schiffskoch Long John Silver. Silver besitzt wesentlich mehr Intelligenz als seine Kumpane und hat seine bisherige Beute in einem Gasthof gut angelegt. Mit seiner freundlichen und gönnerhaften Art kann er auch den jungen Jim für sich gewinnen, der erst im Verlauf der Reise erkennt, was hinter der Maske des biederen Kochs lauert. Silver lässt keine Gelegenheit aus, um seine Ziele zu erreichen, er schreckt auch vor Mord nicht zurück. Und doch ist seine Figur keineswegs eindimensional angelegt, denn Stevenson lässt Silver auch Handlungen ausführen, die anscheinend gar nicht zu ihm passen wollen. Die Ambivalenz dieses Charakters macht es dem Leser schwer, ihn eindeutig in die Schublade der Bösewichte zu stecken, sie weckt im Gegenteil fast schon Sympathie für den zwielichtigen Piraten.

Altbacken? Mitnichten!

Bei einem 1883 erschienenen Werk besteht leicht die Gefahr, dass die Geschichte den Leser heutzutage nicht mehr erreicht, da sich die Sprache mittlerweile sehr gewandelt hat. Doch hier punktet Die Schatzinsel neben der gewählten Form der Ich-Erzählung durch eine atmosphärisch dichte, malerische Ausdrucksweise, die eine längst vergangene Welt so plastisch darstellt, dass der Leser meinen kann, sich mitten in der Handlung zu befinden, und die damalige Zeit durchaus nicht nur verklärt darstellt. Auf Augenhöhe mit dem Hauptprotagonisten und eingebunden in seine Welt des Denkens und Fühlens führt die Reise mithilfe der Vorstellungskraft durch Abenteuer, die sich bildlich vor dem inneren Auge abspielen. Und nicht nur die Sprache, auch der Inhalt dieses Jugendromans ist bis heute aktuell. Davon zeugen Dutzende Verfilmungen in realer oder animierter Form, Computerspiele, Hörbücher, Theaterstücke und Comics, nicht zu vergessen weltweite Neuauflagen bei verschiedenen Verlagen.

Kurzes Wirken

Robert Louis Stevenson schrieb Die Schatzinsel während einer längeren Krankheitsphase. Dieses Werk war sein erster Roman, folgen sollten unter anderem die Klassiker Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde und Entführt oder Die Abenteuer des David Balfour. Fantasievoll und beredt schilderte Stevenson abenteuerliche Geschehnisse und bediente sich dabei verschiedener schriftstellerischer Kniffe. Der an Tuberkulose erkrankte Autor, der auf Wunsch seines Vaters ein Anwaltsstudium abgeschlossen hatte, bevor er mit dem Schreiben begann, wurde nur 44 Jahre alt. Sicherlich hätte er der Welt noch viele Geschichten erzählen können.

Ich habe Die Schatzinsel schon mehrmals gelesen, und das nicht nur als Kind. Noch immer begeistert mich die Sprache Stevensons, mit der er Szenen und Geschehen plastisch darzustellen vermochte. Außerdem gebe ich gerne zu, dass ich es jedes Mal wieder genieße, mich in die Rolle Jim Hawkins einzufinden und mit erfrischender Unbekümmertheit Abenteuer in einer lange vergangenen Zeit zu erleben, in der das Leben hart war, sich aber mitunter so viel lebendiger anzufühlen scheint als unsere abgesicherte Existenz heute.

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