A Silent Voice

Mit A Silent Voice, der Filmadaption des gleichnamigen Mangas von Yoshitoki Ooima, wagt sich Regisseurin Naoko Yamada (K-On!) mit dem Studio Kyoto Animation (Violet Evergarden) mit viel Fingerspitzengefühl an sehr sensible Themen wie Behinderung, Mobbing, Schuld und Selbstmordgedanken. Kazé Anime brachte den Film im März 2018 nun auch in die deutschen Heimkinos.

  

Shouya Ishida ist Grundschüler und ein Rabauke, der vor allem Spaß haben möchte. Als Shouko Nishimiya an seine Schule wechselt, zieht sie als Schwerhörige schnell alle Blicke auf sich. Shouya beginnt sie zu mobben, immer stärker und mit der Unterstützung einiger Klassenkameraden. Schließlich eskaliert das Mobbing, sodass Shouko die Schule verlässt und Shouya als Alleinschuldiger dasteht. Das Blatt wendet sich: Plötzlich ist Shouya nicht nur alleine, er selbst wird die Zielscheibe von Mobbing. Jahre später besucht er nun die Oberschule, doch seine Schuld lastet noch immer schwer auf ihm. Einen Tag bevor er mit allem abzuschließen gedenkt, will er Shouko noch einmal treffen. Doch gerade in der Konfrontation mit dem Symbol seiner Schuld findet er doch noch all die kleinen Gründe länger in der Welt zu bleiben…

“Ich möchte, dass du mir dabei hilfst zu leben.”

Der Stoff dieses Films behandelt viele Themen. Und diese sind von schwer verdaulicher Natur. Das wird sehr schnell durch das Mobbing deutlich. Doch es geht noch tiefer. Direkt nach dem Zeitsprung hegt Shouya Selbstmordgedanken, die er bald in die Tat umsetzen will. Die Täter-Opfer Verteilung ist zunächst sehr offensichtlich, doch wird sie zunehmend verwässert. Auch Shouko ist nicht einfach nur ein Unschuldslamm. Auch wenn sie nie aktiv etwas Böses getan hat, hat sie sich schon die ganze Zeit in dem gleichen zwischenmenschlichen Schneckenhaus aus Selbsthass und Schuldgefühl verschanzt, in dem Shouya sich nun als Teenager vergraben hat. Shoukos Schneckenhaus existiert durch ihre Behinderung, für die sie nichts kann. Shouyas existiert durch seine eigenen Taten. Obwohl sie auf gegensätzlichen Seiten standen, könnten sie sich nun kaum ähnlicher sein. Erkennt man früh genug die Parallele, ist Shoukos Selbstmordversuch zur Klimax des Films alles andere als überraschend. Shouyas gescheiterter Plan hat es schon weit vorher angedeutet. Daher ist auch die Aussprache zwischen den beiden genau das, was Shouko braucht: Keine Liebe (ob nun romantische oder familiäre) und auch keine Freundschaft retten sie, sondern die Tatsache, dass sie gebraucht wird. Als genau die Person, die sie ist und niemand anderes. Denn letztlich war es auch Shouko und niemand anderes, die Shouya von seinem eigenen Selbstmordplan abbrachte.

Die Gestalt der Stimme im Unausgesprochenen

Originaltitel Koe no Katachi
Jahr 2016
Laufzeit 130 Minuten
Genre Drama
Regisseur Naoko Yamada
Studio Kyoto Animation

A Silent Voice ist der internationale Titel von Koe no Katachi, das sich als “Die Gestalt der Stimme” übersetzen lässt. Kommunikation findet auf mehreren Ebenen statt, nicht nur der Stimme und das nimmt dieser Film sehr ernst. Es kommen nicht nur Handgesten bei der Gebärdensprache zum Einsatz, sondern an vielen Stellen auch die Beine – ein Markenzeichen von Naoko Yamada. Selbst ohne Körpersprache wird sehr viel visuell dargestellt. So ist der gesamte Film gespickt mit Blumen, die alle ihre eigene Sprache sprechen, aber auch so konstruiert sind, dass ohne die Hintergrundkenntnis alleine durch ihre visuelle Präsentation eine Emotion übermitteln.

Als Adaption ausgesprochen aufpoliert, aber mit gestrafften Seitenschauplätzen

Die (bei Egmont Manga erschienene) Mangavorlage hat sieben Bände, was durchschnittlich genug Stoff für eine reguläre 24 Folgen umspannende TV-Serie wäre. Der Film adaptiert allerdings nicht einfach nur ein Segment der Reihe, sondern tatsächlich die gesamte Geschichte. Hierbei brilliert A Silent Voice auch sehr, denn er nutzt das audio-visuelle Medium voll aus, um auf mehreren technischen Ebenen zu charakterisieren und zu erzählen. Viele Motive und Szenen sind in ihrer Essenz gleich, aber doch ganz anders aufbereitet. So z.B. bei der sicher visuell stärksten Metapher des Films, das X, das Shouya allen Menschen seiner Umwelt aufklebt. Dieses X gibt es auch schon in der Vorlage, genauso wie ein Panel, in dem Shouya sich gereizt und entnervt die Ohren zuhält und in Gedanken hinausschreit, dass alle den Mund halten sollten. Die Montage von beiden in diese Szene im Gang voller Menschen mit aufgemaltem X, er durch den Gang geht und sich die Ohren zuhält, macht in wesentlich kürzerer Zeit Shouyas soziale Abschottung deutlich. Dennoch war der Gang zur Schere bei der begrenzten Zeit offensichtlich unumgänglich. Der Film schränkt seinen Fokus sehr klar auf Shouyas Sicht und vor allem seine Beziehung zu Shouko ein. Die Geschichte von A Silent Voice bietet im Manga hingegen einen viele Nebenfiguren, die auch alle in der Adaption auftreten, im Film leider bisweilen sehr einseitig herüber kommen.

Die damalige Ankündigung, dass A Silent Voice von Kyoto Animation adaptiert werden sollte, war schon ein wenig eine Überraschung, schließlich ist das Studio vor allem durch Key-Tearjeker Adaptionen (Air, Clannad) oder Cute Girls/Boys doing Cute/Cool Things (K-On!, Free!) bekannt, die eher die Anime-Nische ansprechen. (Die einzigen Anime, die bis dato nicht offensichtlich in dieses Raster fallen, sind Hyouka, was es bis 2017 aus Lizenzgründen gar nicht erst aus Japan hinaus geschafft hat, und das subtil feinfühlige Tamako Love Story ging als Sequel der sonst eher niedlich-lustig gehaltenen Serie unter.) Doch der Film dürfte alle damaligen Skeptiker zum Schweigen gebracht haben. Das Timing der Veröffentlichung war dennoch wohl eher unglücklich, da sie in Japan 2016 ungefähr zeitgleich zu Your Name. startete und neben dem Blockbuster reichlich unterging. Das ist sehr schade, denn eine ernsthafte Beschäftigung mit Themen wie Behinderung und deren Akzeptanz in der Gesellschaft in Anime oder Filmen im Allgemeinen. haben schon einen gewissen Seltenheitswert. Persönlich macht mich der Film allerdings doch etwas zwiespältig. Einerseits ist er einfach eine brillante Adaption, die sogar die Vorlage um ein vielfaches übertrifft. Ein richtiges Kunstwerk. Andererseits sind all die Szenen, die mich in der Vorlage beeindruckt haben im Film nicht dabei, weil sie zu den Nebenfiguren gehören, die ich eigentlich viel interessanter finde als Shouya und Shouko. Der Film zeigt vor allem die beiden Hauptfiguren, die in ihren Extremsituationen stecken. Die Vorlage zeigt auch noch auf, was für Seiten solche Umstände aus den Menschen herausholen, die sonst als “normal” durchgehen würden. Das hätte ich zu gerne genauso großartig adaptiert gesehen. Dennoch ist der Film auf jeden Fall einen Blick wert, ob nun als eigenständiges Werk, oder als Ergänzung zur Mangavorlage.

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Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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Ayres
Redakteur
17. Mai 2018 15:54

Die Prämisse spricht mich leider gar nicht an, aber ich glaube, ich werde dem Film doch nochmal eine Chance geben.